Jedermannsrecht in Norwegen

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Jedermannsrecht in Norwegen

Beitragvon Schwedenopa » 28.05.2008 - 14:52:23

Hallo,

die meisten Forumsmitglieder haben ihn im Zusammenhang mit skandinavischen Ländern, insbesondere Norwegen und Schweden, schon oft gehört, den Begriff Jedermannsrecht. Allerdings kursieren unter Skandinavienreisenden wie auch im Internet zahlreiche recht merkwürdige Vorstellungen darüber, was dieses uralte Recht nun eigentlich beinhaltet. Und der Blick in einschlägige Reiseführer hilft oft nicht weiter, denn ganz offenkundig wird auch in dieser Branche oft wenig selbst recherchiert, und dafür um so häufiger schlicht abgeschrieben. Weil mich diese ganze Fehlinformation nervt, habe ich einmal unter aussschließlicher Benutzung offizieller Quellen, also den Veröffentlichungen norwegischer Behörden, alles zusammengetragen und ausgewertet, was ich zu diesem Thema finden konnte. Und weil Fehlinterpretationen des Jedermannsrechts durch Touristen gelegentlich zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung führen können, stelle ich diese Informationen hiermit allen Lesern dieses Forums zur Verfügung. Soweit möglich, habe ich auch die Quellen verlinkt, falls vorhanden englische Versionen.

Eine häufig wiederholte Fehlinformation ist, dass das norwegische Jedermannsrecht lediglich eine Art Gewohnheitsrecht sei und nicht schriftlich festgelegt: Siehe hierzu Kapitel 3.1.

Um juristisches Kauderwelsch so weit wie möglich zu vermeiden und so schnell wie möglich zu den für Reisende wichtigen Punkten zu kommen, habe ich den Artikel in drei Teile unterteilt: Im ersten Teil zunächst ohne weitere Erklärung die Kernaussagen des Jedermannsrechts. Auf bestimmte, häufig vorkommende Spezialfälle gehe ich dann im zweiten Teil ein. Ich habe dabei versucht, auf alle Fragen einzugehen, die ein (potenzieller) Norwegenreisender möglicherweise stellen könnte. Aber falls jemandem hier noch weitere Dinge einfallen, bin ich gerne bereit, diese Liste zu erweitern. Im dritten Teil folgt dann die juristischen Hintergrundinformationen, einschließlich der Zitate und Verweise auf Gesetzestexte.

Für weitere Informationen, insbesondere auch was andere Länder außer Norwegen betrifft, siehe auch den mittlerweile ziemlich korrekten Artikel zum Thema bei Wikipedia. In Schweden und Finnland sind die Bestimmungen ähnlich. Die wichtigsten Unterschiede für diese beiden Länder habe ich hier zusammengestellt. In Dänemark gibt es kein Jedermannsrecht. Es gibt jedoch, was wenigen bekannt ist, etwas Ähnliches in Schottland.

Also:

1 Die Kernaussagen des Jedermannsrechts:
Das Jedermannsrecht ist zunächst einmal ein allgemeines Zugangsrecht zur Natur. Oberster Grundsatz dabei ist jedoch: "Nicht stören - Nichts zerstören!" Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, muss aber leider immer wieder gesagt werden: Wer Abfälle hinterlässt, Pflanzen ausreißt oder Teile davon abbricht, fremdes Eigentum beschädigt oder Ähnliches, verwirkt sein Zugangsrecht und muss mit strengen Strafen rechnen. Unter welchen Voraussetzungen dennoch z.B. Blumen und Beeren gepflückt oder Pilze gesammelt werden dürfen, wird später erläutert.

Im norwegischen Jedermannsrecht wird zwischen kultiviertem und unkultiviertem Land unterschieden: Kultiviertes Land ist dabei alles Land, das vom Menschen in irgend einer Form bebaut oder bearbeitet wird, also landwirtschaftlich genutztes Gebiet, Rasenflächen, Parks, Gärten, aber auch Weideland und Schonungen. Der Rest ist unkultiviertes Land.

1.1 Betreten, Wandern und Befahren:
Jedermann darf in Norwegen auf unkultiviertem Land auch ohne die Erlaubnis des Besitzers sich aufhalten, wandern, und im Winter Ski fahren.

Kultiviertes Land hingegen, und das ist ein wesentlicher Unterschied zu Schweden und Finnland, darf in Norwegen generell nur mit Erlaubnis des Besitzers betreten werden. Dies gilt auch für Weideflächen!

Lediglich im Winter, wenn der Boden gefroren oder vollständig mit Schnee bedeckt ist, darf auch kultiviertes Land betreten werden. Ausgenommen sind Bauernhöfe, Grundstücke um Häuser und Hütten herum, abgezäunte Gärten und Parks sowie Bereiche in denen ein öffentlicher Zugang auch im Winter erheblich stören würde, z.B. Schonungen.

1.1.1 Nichtmotorisierte Fahrzeuge:
Zu Pferd, mit Packpferden, Fahrrad, Schlitten oder Ähnlichem darf man sich nur im Bergland frei bewegen, sonst muss man sich an Straßen, Wege und Pfade halten. Überdies können die kommunalen Behörden in Absprache mit dem Besitzer den Zugang mit solchen Transportmitteln einschränken oder verbieten. Ohne behördliche Zustimmung darf der Eigentümer einer privaten Straße deren Benutzung durch nichtmotorisierte Fahrzeuge nicht verbieten.

1.1.2 Befahren mit Motorfahrzeugen:
Mit Motorfahrzeugen jeglicher Art darf ausschließlich auf Straßen und dafür zugelassenen Wegen gefahren und geparkt werden. Entlang öffentlicher Straßen ist überdies das Parken am Straßenrand auf unkultiviertem Land zulässig, wenn dabei nichts beschädigt und der Verkehr nicht behindert wird. Das Gleiche gilt für Anhänger von Motorfahrzeugen. Abgesehen davon darf auf kultiviertem Land lediglich mit Erlaubnis des Eigentümers, auf unkultiviertem Land überhaupt nicht - auch nicht mit Erlaubnis des Eigentümers! - gefahren oder geparkt werden.

1.1.3 Privatstraßen:
Besitzer privater Straßen und Wege dürfen deren Benutzung durch Motorfahrzeuge generell oder für bestimmte Fahrzeugarten, z.B. Wohnmobile, verbieten, solche Verbote müssen ausgeschildert oder durch Absperrungen wie Schranken oder Ketten deutlich gemacht werden. Solche Verbote sind gültig, egal ob die Beschilderung offiziellen Verkehrszeichen entspricht oder nicht.

1.2. Picknick, Campen, Feuer machen:
Zweifellos eines der am heißesten diskutierten Themen im Zusammenhang mit dem Jedermannsrecht ist das sogenannte "Wildcamping". Eine klare Definition dieses Begriffs findet man selten, meist wird hierunter jedoch das Übernachten in irgendwelchen "mobilen Unterkünften" außerhalb designierter Campingplätze verstanden. Oft wird behauptet, dass Wildcamping in Norwegen verboten sei. Diese Behauptung ist falsch, ein solches Verbot gibt es in Norwegen nicht.

Jedermann darf in Norwegen auf unkultiviertem Land unter bestimmten Voraussetzungen Picknick machen, Sonnenbaden, oder bis zu 48 Stunden "wild campen". Diese Voraussetzungen sind:
  • Zu bewohnten Häusern und Hütten muss ein Mindestabstand von 150 Metern gehalten werden, andernfalls wird die Zustimmung der Bewohner benötigt.
  • Grundstücksbesitzer dürfen nicht gestört oder behindert werden.
  • Es dürfen keinerlei Abfälle zurückgelassen werden. Auch das Vergraben von Abfällen ist verboten.
  • Sämtliche Spuren des Aufenthalts sind wieder zu beseitigen.
  • Der Aufenthalt geschieht stets auf eigene Gefahr.
Feuer machen: Zwischen dem 15. April und dem 15. September dürfen in Waldnähe generell keine offenen Feuer entfacht werden. Als Feuerholz darf lediglich auf dem Boden liegendes Totholz benutzt werden, keinesfalls dürfen Äste oder Zweige abgebrochen oder abgesägt werden.

Auf kultiviertem Land sind alle genannten Aktivitäten nur mit Zustimmung des Grundbesitzers zulässig.

Der Mindestabstand von 150 Metern zu bewohnten Häusern gilt nicht auf behördlich genehmigten Camping- und Wohnmobilstellplätzen.

Während der Jagdsaison können die lokalen Behörden das Camping aus Sicherheitsgründen vorübergehend untersagen.

1.3 Beeren, Pilze und Blumen pflücken:
Jedermann darf in Norwegen für den persönlichen Bedarf auf unkultiviertem Land wildwachsende Früchte, Beeren, Pilze und Blumen pflücken. Pflanzen, die unter Naturschutz stehen, dürfen jedoch nicht gepflückt werden. Wildwachsende Nüsse dürfen nur zum sofortigen Verzehr gepflückt werden. Für Moltebeeren gelten besondere Regelungen, die unter 1.3.1 erläutert werden.

Einige Reiseführer behaupten überdies, dass Beeren nur mit der Hand gepflückt werden dürfen, Hilfsmittel wie z.B. Blaubeerrechen also nicht erlaubt seien. Für diese Aussage habe ich bislang allerdings keinerlei Belege gefunden.

1.3.1 Ausnahme Moltebeeren:
In den drei nördlichsten Provinzen Finnmark, Troms und Nordland dürfen Moltebeeren nur von den Grundeigentümern gepflückt werden. In den übrigen Provinzen dürfen sie nur zum sofortigen Verzehr, also gewissermaßen "von der Hand in den Mund", gepflückt werden.

1.4 Schwimmen und Boot fahren:
Jedermann darf im Meer, in den Fjorden, in Flüssen und Seen schwimmen und mit nicht motorisierten Booten fahren, sofern die unter 1.2 genannten Voraussetzungen, insbesondere beim An- und Ablegen, eingehalten werden.

Das Führen von Motorbooten ist auf Salzwasser und auf Seen mit einer Oberfläche von mehr als 2 km² grundsätzlich gestattet, auf Flüssen und kleineren Seen nur dann, wenn diese Teil eines öffentlichen Schifffahrtsweges bilden. Es können jedoch lokale Verbote verhängt werden.

1.5 Angeln und Jagen:
Jedermann darf im Salzwasser, also im offenen Meer und in den Fjorden, angeln. Für das Angeln im Süßwasser, also in Flüssen und Seen, benötigen Personen über 16 Jahren immer eine Genehmigung. Jegliche andere Art der Fischerei außer Angeln mit handgehaltenem Gerät bedarf ebenfalls einer Genehmigung. Selbst gefangener Fisch darf nicht verkauft werden.

Wichtig! Seit dem 01.01.2021 gelten in Norwegen neue, sehr strenge Regeln für den Export von selbst gefangenem Fisch! Diese sind:
  1. Der Fisch muss unter der Regie eines staatlich registrierten touristischen Fischereibetriebs geangelt worden sein. Der Betrieb meldet alle Fänge unter seiner Regie an die Fischereibehörde (Fiskeridirektoratet) und stellt eine Bescheinigung aus, die bei der Ausreise mitzuführen ist. Eine Liste dieser Betriebe findet sich hier auf der Website der Fischereibehörde.
  2. Es dürfen pro Person maximal 18 kg Fisch exportiert werden. Ausgenommen davon sind Süßwasserfische sowie im Süßwasser mit Genehmigung gefangener Lachs, Forelle und Saibling.
  3. Privatpersonen dürfen maximal zweimal pro Jahr Fisch exportieren.
  4. Der Fisch muss selbst mitgenommen werden, Export für andere Personen ist nicht zulässig.
Ausgenommen sind Fisch und Fischprodukte, die nicht selbst gefangen, sondern nachweislich bei einem registrierten Gewerbebetrieb gekauft worden sind. (Bei unverpackt gekauftem Fisch daher Quittung mitnehmen.) Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder, außerdem wird sämtlicher mitgenommene Fisch beschlagnahmt.

Die Jagd fällt nicht unter das Jedermannsrecht! Jegliches Jagen oder Fangen von Wildtieren ohne Genehmigung ist Wilderei und wird streng bestraft. Gleiches gilt auch für die Entnahme von Vogeleiern.


2 Sonderfälle:

2.1 Wohnmobile und Wohnwagen:
Eigentlich gar kein Sonderfall, denn es gelten die Regeln für Motorfahrzeuge wie in 1.1.2 beschrieben. Das Befahren von oder Parken auf unkultiviertem Land ist also nicht erlaubt, und auf kultiviertem Land wird die Erlaubnis des Grundbesitzers benötigt.
Auf öffentlichen Straßen und Parkplätzen ist das Übernachten im geparkten Wohnmobil oder Wohnwagen zulässig, so lange erstens örtliche Parkvorschriften und zweitens die unter 1.2 genannten Voraussetzungen eingehalten werden. Dies wird durch ein Rundschreiben des norwegischen Umweltministeriums (Nr. T-3/07 vom 28.06.2007, Abschnitt 3.2.6) ausdrücklich klargestellt.
Auf Privatstraßen und privaten Parkplätzen kann der Eigentümer das Fahren oder Parken mit Wohnmobilen oder anderen Motorfahrzeugen durch entsprechende Beschilderung untersagen. Solche Beschilderung muss beachtet werden, auch wenn sie "handgemalt" ist, also nicht den offiziellen Verkehrszeichen entspricht.

2.2 Zelten "neben dem Auto":
So lange das Auto ordnungsgemäß geparkt ist, das Zelt auf unkultiviertem Land aufgebaut wird, und die unter 1.2 genannten Voraussetzungen eingehalten werden, ist das Zelten neben dem Auto nicht verboten.

2.3 Naturschutzgebiete:
In offiziell ausgewiesenen Naturschutzgebieten können zusätzliche Einschränkungen gelten. Beispielsweise kann hier der Aufenthalt über Nacht oder das Verlassen der Pfade generell verboten sein. Solche Einschränkungen werden auf Informationstafeln an den Zugängen zu den jeweiligen Gebieten bekannt gegeben.


3 Rechtliche Grundlagen:
Die Kerninhalte des Jedermannsrechts sind 1957 im "Gesetz über das Leben im Freien" ("Lov om friluftslivet", im Folgenden LOF genannt) festgelegt worden. 1977 wurde zusätzlich im "Act of 10 June 1977 No.82 relating to motor traffic on uncultivated land and in watercourses" (im Folgenden MUL) die Bestimmungen für Motorfahrzeuge festgelegt. Und der Umgang mit Wildpflanzen und deren Früchten ist im Strafgesetzbuch "Straffeloven" geregelt.
Für die hier verwendeten Begriffe "Innmark" und "Utmark" gibt es keine direkte deutsche Übersetzung, ich habe daher in Analogie zur offiziellen englischen Übersetzung die Begriffe "kultiviertes Land" und "unkultiviertes Land" gewählt.

3.1 Betreten, Wandern und Befahren:
§2 LOF regelt das Betreten von unkultiviertem Land ("Utmark"), während §3 LOF das Betreten von kultiviertem Land ("Innmark") betrifft. Die genauen Regelungen für Motorfahrzeuge außerhalb der Straßen, sowie Motorbooten auf Süßwasser, findet man in MUL.

3.2 Picknick, Camping, Feuer machen:
Regeln tut dies LOF §9, und er fasst hier zusammen: Picknicken, Sonnenbaden, Übernachten und Ähnliches. Wie schon gesagt, enthält dieser Paragraf keinerlei generelles Verbot des "Wildcamping". Ein solches Verbot findet sich auch sonst nirgendwo im norwegischen Recht. Nach LOF §9 benötigt man allerdings die Genehmigung des Grundeigentümers, wenn man länger als zwei Tage bleiben, näher als 150 Meter an einem bewohnten Haus oder Hütte oder aber auf kultiviertem Land campen will.

Gelegentlich wurde behauptet, die 150 m Abstand müssten auch zu unbewohnten Häusern und Hütten, oder gar Holzschuppen und Toilettenhäuschen gehalten werden. Dies ist falsch. Im LOF §9 ist ausdrücklich von "bebodd hus (hytte)" also von "bewohntem Haus (Hütte)" die Rede.

3.3 Pflücken:
Wird merkwürdigerweise im Strafgesetzbuch ("Straffeloven"), § 400, geregelt: Demnach ist das Pflücken von auf nicht umzäuntem(!), unkultivierten Land wachsenden Beeren, Pilzen und Blumen sowie das Ausreißen der Wurzeln von Kräutern erlaubt. Wildwachsende Nüsse und Moltebeeren dürfen hingegen nur zum sofortigen Verzehr gepflückt werden.

3.4 Fischen:
Auf der Website der Fischereibehörde (Fiskeridirektoratet) können sich ausländische Besucher über die für sie geltenden Regeln bzgl. Fischfang informieren. Diese Regeln wurden seit 2018 erheblich verschärft, man sollte sich also zeitnah über eventuelle Änderungen informieren.

MfG
Gerhard
Ehemals "EuraGerhard".
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